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Eine VCD-Kollegin informierte mich über die Veranstaltung die Speed-Pedelecs: Der Wolf im Schafspelz? in Konstanz, an der ich teilnahm, auch wenn ich nicht direkt zur Zielgruppe gehörte. Meine Intention war, ich könne meine Erfahrung einbringen sowie einen Einblick gewinnen, wie es den Anderen damit ergeht und darüber ins Gespräch zu kommen.
Hier die Einladung über das Mobilitätsforum:
Speed-Pedelecs: Der Wolf im Schafspelz?
Das Mobilitätsbüro Mobycon, der Landkreis Konstanz und die Stadt Konstanz laden zur Fachexkursion zum Thema Speed-Pedelecs im Dreiländereck ein. Am 19.9.2024 bekommen Sie die Gelegenheit, selbst auf einem Speed-Pedelec zu fahren und sich mit Fachkolleginnen und -kollegen auszutauschen.
Anfang 19.9.2024 09:30 Uhr Ende 19.9.2024 16:30 Uhr Dauer 7 Stunden Veranstaltungsort Konstanz
Hintergrund
Speed-Pedelecs sind Elektrofahrräder, die Geschwindigkeiten von bis zu 45 km/h erreichen können und in Europa immer beliebter werden. Sie bieten das Potenzial für eine Verkehrsverlagerung, stellen jedoch auch Herausforderungen in Bezug auf die Straßenaufteilung, Sicherheitsbedenken und mögliche Konflikte mit anderen Verkehrsteilnehmenden dar.
In der Schweiz nutzen Speed-Pedelecs prinzipiell Fahrradinfrastrukturen, während sie in Deutschland auf der Straße fahren müssen. Ausnahmen sind nur in zwei Bundesländern (Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg) möglich, wo lokale Behörden Fahrradwege für S-Pedelecs freigeben können. Der Landkreis Konstanz arbeitet derzeit an einem Speed-Pedelec-Netz.
Programm der Exkursion
- Theorie und Austausch: Überblick über regulatorische Unterschiede und neue Forschungsergebnisse
- S-Pedelec-Tour: Fahrt durch den Landkreis Konstanz und die Schweiz, inkl. grenzüberschreitender Erfahrung
- Diskussion: Raum für Diskurs über Regulatorik, Sicherheit und Nutzungsmöglichkeiten von Speed-Pedelecs
- Abschluss: Erfrischungen und Networking in Konstanz
Zielgruppe
Die Exkursion richtet sich an Entscheidungsträgerinnen und -träger aus Planung, Verwaltung und Politik aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Sie bietet eine Plattform, um Wissen und Erfahrungen zu Speed-Pedelecs auszutauschen und die praktischen Auswirkungen unterschiedlicher Regelungen direkt zu erleben.
Veranstalter
Die Exkursion wird von Mobycon in Zusammenarbeit mit dem Landkreis Konstanz und der Stadt Konstanz durchgeführt und ist ein Angebot des CIVINET Deutscher Sprachraum. Diese Exkursion wird über das Horizon 2020-Projekt CIVITAS MUSE von der EU-Kommission gefördert.
Meine persönliche Darstellung der Veranstaltung
Inklusive der Referenten gab es insgesamt 11 Teilnehmende, einige VertreterInnen der Behörden aus der Region Konstanz, 2 vom Mitveranstalter Mobycon, einer des Verkehrsministeriums Baden-Württemberg, eine des ADFC, einer von einem Verkehrsplanungsbüro, (ein paar Weitere waren verhindert)
Zum Einstieg gab es einen theoretischen Teil mit Kurzvorträgen:
– Speed-Pedelec Netz für den Landkreis Konstanz, Sandra Sigg für den Landkreis Konstanz, wo man derzeit daran arbeitet Radwege freizugeben, Ende August sei mit der Strecke Konstanz-Radolfzell eine Anfang gemacht worden, Freigabe ist angeordnet, Schilder sind aber nach aktuellem Wissensstand noch nicht entsprechend beschildert (somit noch nicht gültig!)
Ergänzende Info: Andernorts in BW wurde auf der Strecke Böblingen-Ehningen-Gärtringen ein Radweg freigegeben https://www.lrabb.de/start/Aktuelles/radwegefreigabe+fuer+spedelecs.html
– S-Pedelecs in der Stadt Konstanz, Gregor Gaffga, Stadt Konstanz, erläuterte die schon recht fortgeschrittenen Planungen für die Freigabe innerstädtischer Routen für S-Pedelecs
– Zwischen Wissen und Spekulation: Aktuelle Forschung in der Schweiz, Prof. Dr. Dorothea Schaffner, Fachhochschule Nordwestschweiz berichtete über das D-A-CH –Projekt SESPIN (Sichere und Effiziente S-Pedelec Infrastruktur, wo auch ich als Versuchskarnickel beteiligt war). Dessen Ergebnisse wurden allerdings bisher nicht zur Veröffentlichung freigegeben.
Dann war noch etwas Zeit für Fragen, Antworten und erste Diskussion
Daraufhin übernahm die Gruppe die – vielen verschiedenen – S-Pedelecs, die von Riese und Müller bereitgestellt wurden, nach kurzer Einführung ging es los. (Nur ich hatte mein eigenes dabei, mit dem ich von Lindau angereist bin, wo ich mit dem Zug hinkam.)
Der Erste Teil der Exkursion war eine Route durch Deutschland.
Gegen Mittag – also nicht zur Hauptverkehrszeit – starteten wir an einer 2-spurigen Straße (pro Richtung), was die Autofahrenden meiner Erfahrung nach vorwiegend akzeptieren, da sie dort ja meist gut vorbeikommen. Dann radelten wir relativ entspannt durch ein Stück 30er Zone.
Die Teilnehmenden stellten schnell fest, dass für das Erreichen hoher Geschwindigkeit durchaus kräftiges Treten erforderlich ist. Weitere Erkenntnisse: Anfeindungen von Autofahrenden wegen Fahrens auf „ihrer“ Fahrbahn blieben nicht aus, genauso wie riskante Überholvorgänge, besonders eindrücklich war das mit einem Anhänger am Auto und den großen Transportern auf der Strecke durchs Gewerbegebiet. Einer der Locals schilderte, mit Fahrrad würde er entlang der Bahn auf dem Radweg fahren.
Als wir alle auf die Außerortsstraße L221 einbogen, schrie jemand aus dem Auto raus: „seid Ihr lebensmüde?“ – den Regeln entsprechend fuhren wir da also knapp 2 Km auf der Fahrbahn anstatt auf dem wenig genutzten, guten Radweg nebenan. Da es recht kurvig war, konnten wir schlecht überholt werden, es bildete sich schnell eine lange Autokolonne hinter unserem ca. 30- 35 km/h langsamen Tross, ich war verwundert, dass die Autofahrenden so geduldig hinter uns blieben, lag aber vermutlich an der ersten Person der Schlange, der das Überholen – vernünftigerweise! – zu heikel war.
Also die Fahrt bildete nicht so ganz authentisch die typischen Fahrsituationen ab (so wie ich sie kenne), was durch die große Gruppe zusätzlich etwas verfälscht wurde. Dennoch wurde auf der kurzen Strecke deutlich, wie extrem unangenehm und eben auch gefährlich es ist, das S-Pedelec regelkonform zu nutzen.
Auf dem Rückweg gab es eine lange Busspur, intuitiv fuhren fast alle auf dieser, statt wie es korrekt wäre, auf der Fahrbahn, man wolle den Autoverkehr ja nicht unnötig behindern.
Nach einer ausgiebigen Mittagspause, die auch gute Gelegenheit für informellen Austausch bot, machten wir uns auf den Weg auf
die 2. Etappe in die Schweiz.
Dort ist die Gesetzeslage umgekehrt: S-Pedelecs müssen auf den Radwegen gefahren werden …
So konnten wir zu Beginn ein Stück auf dem Bodensee-Radweg zurücklegen, schön gemütlich, wie mit dem Fahrrad gewohnt. Es folgte eine Stecke entlang einer Autostraße auf dem Radweg und Schutzstreifen, die, wie viele von uns erwähnten, eher recht eng waren, und damit also nicht wirklich für das Potenzial von S-Pedelecs geschaffen sind. Will man sich nicht selbst in Gefahr bringen, kann man dort oft eigentlich nur, wenn überhaupt, durchschnittliches Pedelec-Tempo ausfahren, ein Problem, das ja auch sehr viele sportliche „Muskel-Radelnde“ kennen (weshalb ich ja oft für Aufhebung der Radwegbenutzungspflicht plädiere, allein schon zugunsten der Flächengerechtigkeit). Dennoch fühlten sich die meisten Teilnehmenden mit dem S-Pedelec in der Schweiz weitaus wohler. Bei mir und einem Anderen, die wir das S-Pedelec-Fahren schon länger kennen, war die Meinung dazu gemischt, meine kennt man hier von diesem Blog: Ich bin ganz klar für Wahlfreiheit, denn ob ich mich sicher fühlen kann, hängt von vielen Faktoren ab: Tageszeit, Verkehrsaufkommen jeweils auf Straße und Radweg, Zustand der Wege sowie Wetter (v.a. Gegenwind, Schnee …), aktuelle Fitness, Akkustand usw., denn fährt man dadurch bedingt viel langsamer als 45 km, steigt das Risiko auf der Fahrbahn enorm.
Ich hoffe sehr, dass man den S-Pedelec-Nutzenden in Zukunft den gesunden Menschenverstand zutraut, je nach Situation eine vernünftige Entscheidung zu treffen …
Bei einem Ausklang in der Hafenhalle Konstanz konnten die Eindrücke ausführlich ausgetauscht werden.
Die Gruppe war sich einig, dass das praktische Erleben sehr wertvoll sei für ihren Blick auf das Thema. Insbesondere, dass es nicht so einfach sei, die Höchstgeschwindigkeit zu erreichen. Auch das – von den meisten Nutzenden schon lange häufig berichtete – unangenehme Gefühl mangelnder Sicherheit wurde bestätigt (wie es ja auch die meisten Radfahrenden kennen). Einige waren erschrocken über die Anfeindungen. Eine drückte mir ihr Erstaunen aus, dass ich mich alledem seit Jahren aussetzen würde.
Vielen hat die im wahrsten Sinne „Erfahrung“ die Notwendigkeit von Veränderungen mehr verdeutlicht, alle waren sehr dankbar, dass diese durch die Veranstaltung ermöglicht wurde und es wurde angedacht eine weitere solcher Art anzubieten.
Was mir u.a. auch gefallen hat: Von einem Teilnehmer wurde von der Regelübertretungserfordernis gesprochen, meine Interpretation: Zur Wahrung des Rechts auf körperlichen Unversehrtheit wird man beinahe gezwungen, sich nicht immer regelkonform zu verhalten (zu können) …
Obwohl ich ja seit Jahren regelmäßig S-Pedelec-fahre, war die Veranstaltung für mich ziemlich spannend, vor allem wie es von denen bewertet wird, die damit erstmals in der Praxis in Berührung kommen.
Außerdem hatte ich auch noch nicht Gelegenheit in der Schweiz zu fahren, wo ich das Gefühl genießen konnte, nichts Verbotenes zu tun, um mich „in Sicherheit zu bringen“.
Es freut mich sehr, dass mehr und mehr Bemühungen zu erkennen sind, die Lage für S-Pedelec-Fahrende zu verbessern und dass dadurch der Weg geebnet wird, dass diese Fahrzeuggattung eine Chance bekommt, eine attraktive Alternative zum Auto zu werden.
Zu den Vorträgen aus dem Raum Konstanz möchte ich noch gerne eine persönliche Anmerkung loswerden: So löblich die Bemühungen sind, individuelle Lösungen zu finden, so sehr zeigt es jedoch auch, wie viel Arbeit dahinein fließen muss, die nur von sehr engagiertem und dafür freigestelltem Personal geleistet werden kann. Bis das also in Deutschland flächendeckend umgesetzt wäre, könnten Jahrzehnte vergehen. Darum werde ich weiterhin dafür plädieren, dass zumindest für außerorts generell die Radwege freigegeben werden, wo erforderlich soll eine Sperrung erfolgen. Das wäre extrem viel kostengünstiger und weitaus weniger arbeitsintensiv. Und die Erfahrungen aus Schweiz und Belgien zeigen ja, dass von den S-pedelecs auf gemeinsamen Wegen keine deutliche Gefahr ausgeht.
(Siehe auch mein Artikel: https://pro-s-pedelec.de/politik/wie-haetten-sies-denn-gern-meine-meinung/)
Weitere Infos
Danke an die ReferentInnen, dass hier nun ihre Präsentationen veröffentlicht werden dürfen
Präsentation „S-Pedelec-Netz im Landkreis Konstanz“
Präsentation von Prof. Dr. Dorothea Schaffner: Regelungen und Daten aus der Schweiz und Europa
Da es für die Gesamtdiskussion von entscheidender Bedeutung ist, möchte ich insbesondere hinweisen auf die Seiten 14 und 15 (im PDF 11 und 12):
Wie schnell fahren S-Pedelecs?
(Ja, sie fahren 20-30 % schneller, aber selten deutlich viel schneller als 30 Km/h, der Durchschnitt liegt bei 32 km/h)
Wie häufig sind Unfälle mit S-Pedelecs?
(nicht höher als ihr Anteil am Straßenverkehr erwarten lässt, und ja, teilweise etwas schwerere Unfallfolgen – allerdings gibt es wenig spezifische Daten)
Anmerkung zu „Wie verbreitet sind Speed Pedelecs?“: Jeweils pro 1000 EW – in der Schweiz 17, in Belgien 12
und in Deutschland geschätzt weniger als 1
Fotos
Vielen Dank dafür an Uwe Petry vom Planungsbüro var+
Zum Vergrößern und für Beschreibung anklicken.
Da ein Bericht zur Exkursion (mit ein paar Fotos) vom Mitveranstalter von Mobycon
https://mobycon.com/updates/speed-pedelec-exkursion-durch-deutschland-und-die-schweiz/
Vielen Dank für deinen Bericht! Diese Veranstaltung klingt wirklich interessant, weil Entscheidungsträger (auch wenn es nur wenige waren) leibhaftig mit dem Fahren auf S-Pedelecs und wie sich das vom Sicherheitsaspekt her „anfühlt“, bekannt gemacht wurden.
Das sollte es wirklich öfters geben.
Außerdem fand ich interessant, wie es Euch in der Schweiz erging. Aber was meinst du mit Schutzstreifen? In D sind das nur Angebotsstreifen (gestrichelt), die man nicht unbedingt befahren muss. Dort kann man auch überholen. Ist das in S anders?
Danke Martin für den Kommentar und die Nachfrage. Ja, gemeint sind die mit gestrichelter Linie „abgetrennten“ Streifen, wie genau dafür die Regelungen dafür in der Schweiz sind, konnte ich mit einer Schnellrecherche nicht rausfinden (vermutlich ähnlich wie in Deutschland, wo sie aber in der Praxis durch das Rechtsfahrgebot doch weitgehend verpflichtend sind). Klar, da kann man im Prinzip auf der Fahrbahn – nach Blick in den Rückspiegel – überholen.
In Deutschland dürfen die Schutzstreifen von KFZ und damit auch von S-Pedelecs nur „bei Bedarf“ befahren werden.
Problematisch kann es also hauptsächlich auf den straßenbegleitenden Radwegen sein an Anderen vorbeizukommen. Ich wundere mich schon ein bisschen, dass es die Schweiz zur Pflicht gemacht hat, dass potenziell so schnelle Fahrzeuge den Radweg nutzen MÜSSEN, Mopeds aber der Fahrbahn zugewiesen werden. Für mich gehören S-Pedelecs vorwiegend auf die Fahrbahn, aber zur Wahrung der Sicherheitsbedürfnisse sollte man die Nutzung der Radwege erlauben.
Übrigens kam im Nachgang aus der Runde das Angebot bei Frankfurt eine ähnliche Veranstaltung in die Wege zu leiten.