Laudatio auf das S-Pedelec – Gastbeitrag für Velostrom

Was macht ein S-Pedelec zum besseren Pedelec? Und wo liegen die Herausforderungen? Ein Gastbeitrag für velostrom.de

Chance für Mobilität auf dem Land

Vermutlich kennen ihn die meisten, den inneren Schweinehund. Sogar auch dann, wenn man sich eigentlich gerne bewegt – je weiter die Strecke, desto mehr macht er sich wichtig und es damit der klimafreundlichen Fortbewegung schwer. Aber ich habe meine Waffe gegen ihn gefunden: Es ist das S-Pedelec!

Ich lebe in einer kleinen Gemeinde im Speckgürtel von München, ländlich geprägt, zur Innenstadt sind es rund 20 km, die umliegenden Ortschaften auch ein Stück weit weg. ÖPNV ist zwar da, aber nicht selten wesentlich zeitaufwändiger (unter anderem mangels Querverbindungen) und die Reisezeit ist nie so verlässlich wie beim Fahrrad. Ein Auto hätte ich zwar, aber nicht zuletzt der Natur zuliebe, bevorzuge ich meist andere Lösungen.

Vorteile des S-Pedelec

Das S-Pedelec bietet die vom konventionellen Fahrrad her bekannten Vorteile: gesund, billiger und sogar oft schneller als Autos, selten Probleme wegen Stau, beinahe keine bei der Parkplatzsuche, gelegentlich schwierig ist nur das Finden eines Platzes zum diebstahlsicheren Anschließen.

Mit dem S-Pedelec kann ich mit noch angenehmer Anstrengung die meisten meiner Wege in angemessener Zeit bewältigen.

Mehr Strecke in gleicher Zeit oder gleiche Strecke in kürzerer Zeit im Vergleich zum Fahrrad oder Pedelec, das erleichtert meinen Alltag enorm. Und auch mal etwas mehr Gepäck merke ich so gut wie nicht.
Gefühlt bekommt man, gegenüber dem dem „Biobike“, für denselben Kraftaufwand 10 km/h geschenkt. Das bedeutet aber auch, für 40 km/h muss man ähnlich stark reintreten wie für 30 km/h ohne Unterstützung. Wobei die meisten Alltagsradler normalerweise bei dieser Geschwindigkeit an ihre Grenzen kommen.

Wer nicht verschwitzt am Ziel ankommen will, geht es auch mit dem S-Pedelec lockerer an und reizt nicht die Höchstgeschwindigkeit aus

Der Zeitfaktor beim S-Pedelec

Mathe mochte ich schon immer ein bisschen, betrachten wir also beispielhaft eine Pendelstrecke von 20 km mit mäßiger Anstrengung bei rund 100 – 120 Watt Leistung in der Ebene

Mit dem S-Pedelec dauert das rund 35-40 Minuten. Wenn ich in die Stadt fahre, ist das von „Tür zu Tür“ kaum länger oder sogar schneller, als es mit dem Auto zu schaffen ist.

Mit „Biobike“ wären es 60 Minuten, mit dem “normalen“ Pedelec, das bis 25 km/h unterstützt, 50 Minuten.

Daraus ergeben sich beim S-Pedelec, verglichen mit 25 km/h Pedelec immerhin 10-15 Minuten Zeitgewinn je Strecke. Hin und zurück sind das 20-30 Minuten pro Tag! Das macht in der Woche bis zu 2,5 Stunden und in 46 Arbeits-Wochen bis zu mehr als 100 Stunden Zeitersparnis!

Je nachdem wie gut man bezahlt wird, amortisiert sich der Zeitaufwand für die höheren Anschaffungskosten recht schnell, ganz zu schweigen von der finanziellen Ersparnis gegenüber den Kosten fürs Auto (Anschaffung/Wertverlust/Unterhalt)

S-Pedelec für Familien

Als Mutter von 2 Kindern möchte ich betonen, welch tolle Mobilitätslösung das S-Pedelec auch für – oft unter Zeitdruck stehende – Familien bieten könnte.

Man hört es oft, man/frau brauche ein (zweites) Auto wegen der Kinder. Um ein Auto perfekt zu ersetzen, müssten beim S-Pedelec zwei wichtige Dinge möglich sein:

  • Am S-Pedelec müsste das Ziehen eines marktüblichen Kinderanhängers (ggf. mit Prüfzeichen bis zu einer Höchstgeschwindigkeit) gestattet sein

Mir ist nur ein Lastenrad, das Load von Riese und Müller, bekannt, in dem man auch Personen transportieren darf: Das ist zwar auch eine Lösung, aber ich bin mehr ein Fan von Anhängern. Damit kann man das Kind zur Kita bringen, lässt den Anhänger dort stehen, und fährt die 20 km zur Arbeit ohne unnötige Last. Jemand anderer kann das Kind dann auch abholen, was eine willkommene Vereinfachung der Logistik bedeutet.

  • Das Begleiten von anderen Radfahrenden auf Radwegen müsste erlaubt werden. In der Schweiz, wo es eine allgemeine Pflicht zur Radwegnutzung mit S-Pedelec gibt, sind keine großen Probleme bekannt

Meine Kids sind schon groß, aber oft denke ich daran, wie sehr ich es früher zu schätzen gewusst hätte, wenn ich im wahrsten Sinne des Wortes gute Unterstützung für die vielen – fast ausschließlich mit dem klassischen Fahrrad zurück gelegten – Wege gehabt hätte. Und wie sehr ich es nun den neuen Generationen von Müttern gönnen würde.

Generell gilt wahrscheinlich für alle: Wenn man sich schon so ein relativ teures Fahrzeug anschafft, dann wünscht man sich auch, dass man es möglichst multifunktional einsetzen kann, eben als Pedelec und als Speed-Variante für weitere Strecken. So wie man ein Auto eben auch in der 30er Zone sowie auf der Autobahn nutzt.

S-Pedelec & Verkehrswende

Die wahren Stärken des S-Pedelec liegen im Potenzial für die Verkehrswende.

Da wären wir, weil‘s so schön ist, nochmal kurz bei der Mathematik. Die Zahlen stammen aus der Studie „Mobilität in Deutschland (MID)“.

  • Aktuell werden mit Fahrrädern und (25km/h) Pedelecs 93 Millionen Personen-km/Tag zurückgelegt
  • Von den PKW-Personen-km werden ca.12% unter 10 km und ca. 50% unter 33 km zurückgelegt. Das bedeutet ca. 38% der mit dem PKW zurückgelegten Strecken betragen zwischen 10 km und 33 km.

Genau diese Strecken sind ideal fürs S-Pedelec, bei denen sich der Vorsprung gegenüber 25er Pedelecs deutlich zeigt. Und es bedeutet: ein gutes Drittel der PKW-Fahrten (nach Abzug der unvermeidlichen) könnten mit dem S-Pedelec ersetzt werden bzw. dies wäre eine Verachtfachung der Fortbewegung mit „Fahrrädern“ (mit/ohne elekt. Unterstützung)!

Es soll hier nicht verschwiegen werden, dass dieses ansehnliche Potenzial aber erst dann eine echte Chance bekommt, wenn die Verkehrsregeln und Vorschriften so angepasst werden, dass die Nutzungsbedingungen für das S-Pedelecs wesentlich attraktiver werden.

Zusätzliche gemeinnützige Vorteile zur CO2 Einsparung sind: Das S-Pedelec braucht wenig Platz, erzeugt lokal keine Emissionen (abgesehen von denen bei Herstellung und den minimalen für den Betrieb), also weder Lärm noch Abgase, und sorgt, wie ich meine, auch für mehr Sicherheit, da eben weniger potenziell gefährlichere Autos unterwegs sind.

(Über-) Leben mit dem S-Pedelec

Mit denjenigen, die ich auf den Geschmack gebracht habe, teile ich hier gerne noch einige Erfahrungen, die das Leben mit einem S-Pedelec noch angenehmer machen.

Wofür ist das S-Pedelec besonders nützlich?

Für weitere Überlandstrecken ist das S-Pedelec ideal. Aber auch für lange Strecken in der Stadt, kann das S-Pedelec, je nach möglicher Route, sinnvoll sein. Das ist es allerdings oft leider nicht, beispielsweise wegen häufiger Stopps an Ampeln. Da sind auch 25km/h Höchstgeschwindigkeit oft in etwa genauso effizient.

Schaltung

Wählt eine geeignete Schaltung – ist es ein S-Pedelec mit Mittelmotor ist die Nuvinci ok, aber nur, wenn es einem nicht so wichtig ist, dauerhaft – ohne sehr hohe Trittfrequenz – über 35km/h fahren zu können. Sonst nehmt besser eine Kettenschaltung, oder, wenn es wartungsarm mit Riemen sein soll, eine Rohloff-Nabe.

Von den Nabenmotoren höre ich, dass es damit im Normalfall nicht schwierig ist höhere Geschwindigkeit zu halten. Mit einem Stromer durfte ich das auch schon mal kurz erleben.
Wer 45 km/h ausreizen will, sollte prüfen, ob die Übersetzung dafür passt.
Wenn möglich macht einige längere Fahrten unter Realbedingungen, nicht nur eine kurze Probefahrt.

Sonderausstattung …

Wegen der doch etwas höheren Geschwindigkeit wird es trotz Anstrengung schneller kalt.
Daher rate ich zu einer Brille oder einem Visier am Helm, ist es richtig frostig, sogar zu Skibrille und Gesichtsmaske. Auch bei trocknem, kaltem Wetter bieten eine winddichte (Regen-) Hose und Kniewärmer zusätzlichen Komfort.

Besonderer Tipp zum Warmbleiben: Ich stecke USB-Taschenwärmer in Fäustlinge rein. Auch sehr hilfreich sind Heizpads, die an eine Powerbank drangehängt werden, so kann man sich teure beheizbare (Hand-) Schuhe sparen und das Equipment flexibel nutzen.

Mit der richtigen Ausstattung wird selbst „Frostpendeln“ zum Vergnügen (https://pedelecmonitor.com/frostpendeln/)

Was ich ansonsten sehr schätze: Wenn ich schnell fahr, ist es nicht immer leicht mit Arm raushalten – Bremsen – abbiegen, also hab ich mir diese cycl – Blinker besorgt

Vorteile und Nachteile: Nummernschild

Damit die Welt auch nach und nach mitbekommt, dass es diese „besonderen“ Pedelecs gibt, lasse mein Nummernschild immer dran. Manchmal fahre ich damit auch auf Radwegen, denn meine Sicherheit ist mir natürlich wichtig. In 7 Jahren hatte ich bisher noch nicht ein Problem deshalb.
Ich empfinde es aber oft auch als „Privileg“, dass ich  auf der Fahrbahn fahren muss, und nicht auf alle – häufig unzumutbaren – Radwege gezwungen werde, so komme ich zügig voran.

Man sollte für sich abwägen: Welche Bereitschaft habe ich, mich entweder an alle Gesetze zu halten und damit eventuell die eigene Sicherheit etwas mehr zu gefährden. Oder das Restrisiko bezüglich der Versicherung sowie eventuellen, gelegentlichen Geldbußen in Kauf zu nehmen.

Ich halte es mit der Nutzung der Wege mit gesundem Menschenverstand. Ich gebe hier keine rechtliche Empfehlung, aber sich immer an die – nicht durchdachten – Regeln zu halten, kann lebensgefährlich sein, je nach Tageszeit, Verkehrsaufkommen oder Witterung.

Unwissenheit ruft leider auch den Zorn von Autofahrenden hervor. Oftmals wird nicht verstanden, warum ein vermeintliches Fahrrad nicht auf dem parallel verlaufenden Fahrradweg fährt. Daher kommt es kommt immer wieder zu brenzligen Situationen. Darum zeichne ich öfter mal auf den besonders gefährlichen Straßen die Ereignisse mit einer Helmkamera vorsorglich für den Ernstfall auf.

Fazit

Trotz alledem! Wer den rauen Ton im Straßenverkehr verträgt und mit dem Fahrrad routiniert umgeht, für den oder die kann ein S-Pedelec richtig viel Spaß machen.

Ein S-Pedelec zaubert allen, die damit auch nur eine Runde fahren, ein von echtem Glück hervorgerufenes Grinsen ins Gesicht. Erzeugt von dem herrlichen Gefühl, ein bisschen zu fliegen und das, zumindest teilweise, mit der eigenen Muskelkraft!

Ich liebe das Fahren mit dem S-Pedelec, und da wird mein Schweinehund ganz kleinlaut.

 

Mehr Details zu Anhängern sowie zur Trittfrequenz/Kadenz

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